ZEIT UND RAUM Die ursprüngliche Ausbreitung des Menschen war von Ostafrika aus nach Norden und Osten, von da aus weiter nach Süden und Osten, auf jeden Fall also nach Osten. Sie fand währen der Eiszeit statt, die Menschen waren damals noch Sammler und Jäger; Lebewesen also, die davon leben, immer neue Räume zu erobern und Grenzen nur dann akzeptieren, wenn sie auf sie treffen. Als das Eis schmolz, fanden sie, daß das Meer ringsherum um 120 Meter gestiegen war, weite Gebiete überflutet und sie auf ihren Inseln und Kontinenten eingeschlossen hatte. Damit begann nach der Eiszeit im Nahen Osten und vielleicht auch in Asien die Revolution des Ackerbaus, mit dem alles anders wurde: Grenzen wurden nicht nur akzeptiert, sondern willentlich gezogen. Damit wiederum wurde Berechnung wichtig, Geometrie und Mathematik: wieviel Land gehört mir, wo beginnt und wo endet es, wieviel Wasser gehört mir, wie lange muß es in welchem Querschnitt fließen, wie spät ist es, welchen Tag haben wir, welchen Monat, welches Jahr - ein Prozess des Quantifizierens, der schon mit dem Zählen des Viehs bei den Hirten begonnen hatte. Die nach ihrer ursprünglichen Ausbreitung und Konsolidierung sekundäre Wanderung des Menschen als Krieger, Städter und Bauern war danach in Richtung Süden und Westen, wenn sie denn erfolgreich sein wollte; immer auf der Suche nach dem Land, das noch die Sammler und Jäger besaßen oder das von anderen Bauern oder Städtern aufgegeben worden war - oder von ihnen aufgegeben werden sollte. Zur Begrenzung ihrer Felder nahmen die Mensch Steine. Este kleine, und als die zu leicht zu versetzen waren, große, schwere Steine zum Eingraben. Markante Ecken und Strecken wurden mit Steinhaufen markiert. Steinringe hatten sie schon vorher gebaut, jetzt begannen sie diese aufeinander zu schichten. Als man merkte, daß man diese Steinhaufen schon von weiten sah -und von ihnen in die Weite sehen konnte- war die Idee des Turmes und der Pyramide geboren. Der Bau der ersten Pyramide war wohl tatsächlich der Turmbau zu Babel (Babylon, Bagdad) oder etwas ähnliches im Nahen Osten. Von da aus verbreitete sich die Kunde vom Bau der Türme und Pyramiden um die Welt - und zwar nach Westen. Sie kam nach Osten nie über Zentralasien hinaus, bis auf Wehrtürme und -mauern; dort baute man Tempel und Statuen, wenn auch zu anderen Zwecken. Der Turm- oder Pyramidenbau diente mehreren Dingen zugleich: einmal stellte er einen Mark- oder Merkstein dar: dort, wo der Turm oder die Pyramide war -später der Obelisk als besonders schlanke Form des Turmes-, war das Zentrum der Macht, das Zentrum einer Menschenansammlung. Das hohe Bauwerk diente -neben der Beobachtung des Himmels, der Astrologie, der Wetter- und der Götterkunde- auch der militärischen Beobachtung eben dieses Machtbereiches: wer den Turm sah, der wußte, daß er von ihm aus auch gesehen werden konnte, und blieb diesem sichtbaren Machtbereich (hoffentlich) fern - insbesondere, wenn ihn grimmige Gesichter oder ähnliches krönten. Harmlosen Zeitgenossen aber erweiterte er schon deshalb den Bereich, in dem er sich schon deshalb sicher bewegen konnte, weil diese den Turm sehen konnten: im flachen Gelände oder auf dem Meer geht ein Mensch nach etwa zehn Kilometern verloren, jeder Meter Erhöhung erweitert diesen Bereich um einiges. Deshalb war es notwendig, Türme und Leuchttürme so hoch wie möglich zu bauen, denn schon durch ihre Höhe bestimmten sie ihren Machtbereich; je höher sie waren, desto größer waren dieser - ein Thema, das auch beim Bau der Mittelalterlichen Kirchenbau zum tragen kam. (Kirch-) Turmspitzen ragen als sichtbare Orientierungsmarken sogar über die Baumwipfel hinweg, und eine Stadt bildete sich mehr oder weniger konzentrisch um eine Dom herum, d. h. in seinem Weichbild, dem Bild, dem man auszuweichen hatte, wenn man nicht dazugehörte. Für das dazuge "hören" sorgten dann die Kirchenglocken, der Gong oder der Gebetsruf - währenddessen man sich im Übrigen still zu verhalten hatte. Glockengeläute, Gong oder Gebetsruf von jenem Turm, der zunächst einmal die räumliche Orientierung des Menschen erleichterte, ermöglichten auch seine zeitliche Orientierung, da sie immer zur gleich Tageszeit vollzogen wurde. Mit Turm und Zuruf wurde den Menschen in einem bestimmten Machtbereich so eine räumliche und zeitliche Orientierung gegeben - und damit der Begriff der (Arbeits-) Geschwindigkeit festgelegt. Dieser Machtbereich wurde allein schon dadurch dargestellt, daß der Turm überhaupt stand; um einen Turm oder eine Pyramide überhaupt zu bauen, mußte man schon über einiges an Macht verfügen, denn allein das Transportieren und das Aufschichten der Steine erfordert viel Arbeit oder eben Macht. Insofern sind Türe oder Pyramiden allein schon durch ihre schiere Existenz geronnene Macht. Wie wichtig diese Manifestation der Macht auch noch heute ist, zeigt sich nicht nur in dem ständigen Wettlauf um das jeweils höchste Gebäude der Welt, sondern auch in der Einführung einer energetisch völlig sinnlosen europäischen Sommerzeit, die dem schieren "Macht-" Willen der Menschen geschuldeten halbjährlichen Verschiebung der Mittagszeit um eine Stunde, auf daß die in ihrem Machtbereich sich befindenden Menschen zweimal im Jahr aus ihre Routine und Lethargie aufgeschreckt werden, ihre Uhren überprüfen und daran erinnert werden, wer hier das Sagen hat und über ihren Tagesablauf bestimmt - nicht die Natur und nicht sie selber. Anderseits zeigt auch die Schwierigkeit oder die Leichtigkeit, mit der solche Bauwerke zerstört werden können, wie es um die Macht bestellt ist, die sich in ihnen äußert. Da alles, was man vor Afrika in der Passat-Strom wirft, irgendwann im Bereich des Äquators in Amerika landet -so auch Kolumbus, Thor Heyerdahl und vermutlich etliche Namenlose von Eintausend und mehr Jahren- schafften damit sogar die Pyramiden schon lange vor Kolumbus den Sprung über den Atlantik nach Mittelamerika, vermutlich in den Köpfen der mehr oder weniger freiwillig von Osten dort anlandenden Menschen, der "weißen Götter" (zurück aus jenem Westen kam als erster und einziger bis dahin Kolumbus, und zwar über die Nordroute, die schon die Wikinger nahmen). Den weiteren Sprung über den Pazifik nach Asien im Westen von Amerika schafften die Pyramiden nicht; der Ozean ist dort am Äquator einfach zu breit, um lebend überquert zu werden. ------ Breitengrade sind geographische Einheiten (höhere und tiefere Breiten) - überquert man sie, dann ändern sich für einen Klima und Sternenbild. Sie sind das räumliche Gitter auf der Erdkugel. Längengrade dagegen sind zeitliche Einheiten (Zeitzonen); überquert man sie, ändert sich geographisch nichts, außer daß andere Länder in Sicht kommen. Sie sind das senkrecht auf dem räumlichen Gitter aufsitzende zeitliche Gitter auf der Erdkugel - wobei das räumlichen Gitter doppelt konzentrisch zur Drehachse der Erde ist, das zeitliche Gitter aber zwei mit dieser gemeinsamen Schnittpunkte hat (die in etwa mit den Schnittpunkten der Magnetlinien zusammenfallen, einem dem zeitlichen in etwa deckungsgleichen räumlichen Gitter, das als räumliches Gitter nutzlos ist für die Ost-West-Navigation). Der Polarstern und der Kompaß ermöglichen eine Anzeige von Nord nach Süd, die Sonne und die Sternbilder zeigen mit jahreszeitlichen Abweichungen Osten und Westen an. Innerhalb der Polarkreise zwar beides nur ungenügend, aber dort wurde auch wenig zur See gefahren. Auf dem offenen Ozean ohne Orientierungspunkte einer sich drehenden Kugeloberfläche ist mit diesen Hilfen zwar eine Richtungsbestimmung senkrecht zueinander von Ost nach West und von Nord nach Süd möglich, aber immer noch keine Ortsbestimmung - der Seemann konnte zwar feststellen, auf welchem Breitengrad er sich befand, aber nicht wo auf diesem; er mußte auf Grund von "Erfahrung" und auf gut Glück in irgend eine Richtung weiterfahren und hoffen irgendwo auf Land zu treffen. Er war, wenn nicht "in Gottes Hand", "verloren" (von lugen, luren) - und viele gingen es auch. Erst die Erfindung des Chronographen, der trotz Seegang immer genau gehenden Schiffs-Uhr, ermöglichte eine Orientierung ("Ausrichtung nach Osten") in dem zeitlichen Gitter der Längengrade und damit eine Navigation in Raum und Zeit - diese natürlich in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit als Raum durch Zeit. Erst damit waren präzise Seekarten möglich - und mit der genauen Festlegung der Küstenlinien damit auch präzise Landkarten und Globen. ------